Montag, 16. Mai 2016

Kinder zu verkaufen

An manchen Tagen möchte ich sie einfach verkaufen. Oder zumindest verleihen. Wenigstens für ein paar Stunden.
Da brauche ich so dringend eine Pause, dass ich mir wirklich wünsche zu rauchen. Aber nur deshalb damit anzufangen ist natürlich keine Option ;-)

Heute ist so ein Tag. Es ist Feiertag. Die Kinder und ich sind seit 6 Uhr wach. Viel zu früh für einen freien Tag, aber das interessiert die beiden herzlich wenig.
Na ja, in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken und der Tag kann starten. Aber leider gehen meine Wünsche und die Bedürfnisse der Kinder stark auseinander. Während ich wenigstens 10 Minuten Ruhe möchte um meinen Kaffee zu genießen und wach zu werden brauchen die Mädels Aufmerksamkeit, nachdem sie ja schon in der Nacht (mehr oder weniger) darauf verzichtet haben. 
Die Große will spielen, Fernseh gucken und etwas essen. Am besten alles gleichzeitig und sofort. Die Kleine will ihre Milch trinken, kuscheln und krabbeln und klettern, oder doch lieber kuscheln. Natürlich auch alles gleichzeitig und in sekündlich wechselnder Reihenfolge.

Als Mama sind diese Bedürfnisse eigentlich Alltag. Aber morgens, wenn ich müde bin und der Tag noch gar nicht richtig angefangen hat, da fühle ich mich manchmal überfordert. Von dieser Flut an Forderungen und Wünschen. Von der Lautstärke und der Geschwindigkeit, mit welcher der Tag beginnt.
Dann beneide ich den Mann, der noch friedlich im Bett liegt und schläft. Schaue im Minutentakt auf die Uhr, ob der Morgen nicht bald vorbei ist, ob man den Papa nicht schon wecken oder auf den Spielplatz gehen kann.




Aber die Zeit vergeht langsam.

Zwischendurch sitzen wir auf dem Boden und spielen mit Puppen oder den Bauklötzen, während ich meinen Kaffee trinke. Und ich denke mir, ach eigentlich ist es doch ganz schön so. Bis die Kleine bei ihren Stehversuchen umfällt und sich den Kopf aufschlägt weil sie ja irgendwie doch noch (oder schon wieder) müde ist. Genau dann möchte die Große unbedingt was essen und die kurze Idylle ist schon wieder vorbei. 
Das gemeinsame Frühstück ist dann zumindest eine kurze Verschnaufpause. Danach geht es weiter wie zuvor. Ich merke, dass ich immer genervter und unausgeglichener werde. Ich wünsche mir so dringend ein paar Minuten für mich. In Ruhe auf die Toilette zu gehen würde vielleicht schon reichen.
Ich muss mich jetzt wirklich zusammen reißen, nicht zu viel zu schimpfen oder unfair zu werden. Auch wenn ich mir dessen bewusst bin gelingt es nicht immer.

Gegen 9 Uhr steht der Mann auf. Und obwohl wir am liebsten alle drei sofort auf ihn zustürmen würden versuche ich ihm ein paar Minuten Ruhe zu verschaffen, um langsam im Tag anzukommen. Jetzt kann der Tag richtig beginnen und ich fühle mich nicht mehr so ganz als Einzelkämpferin.
Damit ich ungestört ein bisschen aufräumen und putzen kann geht mein Mann mit den Kindern eine Runde spazieren. "Ein bisschen" schreibe ich nicht etwa, weil es bei und nicht viel zu tun gäbe, sondern weil es aussichtslos ist, in der kurzen Zeit alles zu schaffen (so lange könnten die drei nie im Leben weg bleiben :-) ).

Ordnung im Haus schafft auch Ordnung in mir.

Während ich die Dinge wieder an ihren Platz räume und mit dem Staubsauger meine Runde durchs Haus drehe, werde auch ich ruhiger. Ich genieße die Stille (ja, der Staubsauger ist laut, aber er ruft nicht Mama). Und so langsam senkt sich mein Stresslevel wieder. Je sauberer es um mich herum wird, um so mehr finde ich meine Mitte wieder. In Gedanken gehe ich den Morgen noch einmal durch, frage mich, was mich so gestört hat und überlege, wie es morgen aussehen könnte. Ich freue mich über die Ruhe und die Momente allein, die ich so dringend gebraucht habe.

Dann piept mein Handy.

Mein Mann schickt mir Fotos von den Kindern, wie sie auf dem Spielplatz spielen und durchs Gras krabbeln. Und sofort läuft mein Herz über vor Liebe und Sehnsucht. Ich möchte am liebsten sofort zu ihnen und vermisse sie. Mit solch einer Intensität, die ich für keinen anderen Menschen jemals empfunden habe. Ich bin so stolz auf diese wundervollen Menschen und jedes frühe Aufstehen, jede schlaflose Nacht und jeder schwierige Morgen relativieren sich im Vergleich zu dieser großen Liebe und dem wunderbaren Geschenk, diese beiden bei ihrem Aufwachsen begleiten zu dürfen. Und ich bin mir sicher, ich gebe sie nie wieder her!













Samstag, 7. Mai 2016

Warum ein "Fall nicht runter" so viel kaputt macht

Ich liebe es, Menschen zu beobachten. Seit ich Kinder habe sind es oft Familien, die in mein Blickfeld geraten. Mir macht es Spaß, zu sehen, wie andere Kinder aufwachsen. Ich finde es spannend, wie andere miteinander umgehen und häufig gehe ich mit einem positiven Gefühl aus solchen Situationen. Aber es gibt auch solche, die mich nachdenklich machen.


Letzte Woche:

Wir haben uns nach einem schönen Spaziergang noch ein Eis gegönnt und es uns auf einer Bank gemütlich gemacht. Vor uns haben einige Schulkinder am Brunnen und an der Treppe gespielt. Zwei von ihnen sind auf eine wirklich hohe Mauer geklettert. Ich persönlich hätte es meinen Kindern wohl nicht erlaubt, die Eltern, die ein paar Meter weiter saßen, schienen aber keine Bedenken zu haben. Die Jungs kletterten und balancierten auf der Mauer in ca. 2,5 Metern Höhe. Ihre Bewegungen sahen sehr sicher aus. 
Die Haustür eines Nachbarhauses ging auf und ein älterer Mann kam heraus. Er sah den einen Jungen an und rief zu ihm herüber: "He, das ist gefährlich. Fall da nicht runter!". 
Ich konnte beobachten, wie der Junge zusammenzuckte und von da an waren seine Bewegungen sehr unsicher und er wäre tatsächlich fast gefallen. Der Mann drehte sich um und ging wieder. Allerdings füllten sich nun auch die Eltern in der Pflicht, ihren Kindern zu sagen, sie sollen aufpassen, obwohl sie ihnen bisher die Freiheit ließen, den Platz selbstständig zu erkunden.



Eine Situation, die sicher jeder kennt

Ein Kind klettert irgendwo hoch. 
Die Eltern, Oma/Opa oder die Erzieherin (wer auch immer mit dem Kind unterwegs ist) befinden sich irgendwo in der Nähe. Direkt hinter dem Kind oder in Sichtweite auf einer Bank etc. Irgendwann kommt meist der scheinbar unvermeidliche Tipp, "Fall da nicht runter!" oder wahlweise "Tu dir nicht weh!".
Für die Erwachsenen ist dies ein Satz, den sie als Kind bestimmt selbst oft gehört haben. Er gehört zu groß werden dazu. Sie "meinen es ja nur gut". 
Allerdings ist es eine sehr unbedachte Äußerung, die etwas in dem Kind auslöst.
Im besten Falle ignoriert das Kind das Gesagte und klettert einfach weiter. Leider lässt sich oft etwas ganz anderes beobachten, wie es auch im Beispiel oben der Fall war.

Der Junge oder das Mädchen ist vielleicht ganz selbstsicher und mutig losgeklettert, oder hatte ein leichtes Kribbeln im Bauch vor Aufregung, vielleicht war da auch ein Anflug von Skepsis, ob diese selbst gestellte Aufgabe zu bewältigen sei.
Aber das Kind hat sich das Ziel gesetzt, dort hoch zu kommen und begonnen zu klettern. Wenn man das Kind beobachtet, kann man feststellen, dass es sehr in sein Tun vertieft und konzentriert ist. Seine Bewegungen sehen sicher aus.
Bis zu diesem fatalen Ratschlag "Fall da nicht runter!".
Man sieht genau, wie das Kind innehält. Wahrscheinlich die sprechende Person anschaut. Das Kind klettert weiter, allerdings viel unsicherer als zuvor. Oft rutscht es genau dann ab, wird wackelig. Oder traut sich nicht weiter zu klettern, ohne Hilfestellung zu bekommen. 


Was passiert bei dem Kind

Aber warum? Was löst dieser vermeintlich harmlose Satz (oder ähnliche) im Kind aus?
Zunächst einmal ist er absolut unnötig. Bei genauerer Betrachtung sogar ziemlich unsinnig. Das Kind hat ganz von sich aus das Interesse, nicht zu fallen, sich nicht weh zu tun. Es hält sich fest und klettert so gut es kann. Was also soll dieser Satz bringen? Er verschleiert die Ängste der Erwachsenen und versteckt sie hinter gut gemeinten Ratschlägen. Sollte das Kind wirklich fallen, dann ebnet er in besonders hartnäckigen  Fällen den Weg für ein selbstgefälliges "Ich habe es dir doch gleich gesagt". 

Solche Sätze lösen Unsicherheit aus. Wenn Mama mir das nicht zutraut, dann schaffe ich es vielleicht wirklich nicht. Schließlich haben Große immer Recht :-). 
Sie säen Selbstzweifel. Das Kind hatte schließlich das Gefühl, es zu schaffen. Sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das Gespür, was es sich zutrauen kann gerät ins Wanken.
Sie bringen oft ein Gefühl von Hilflosigkeit mit sich. Kann ich es doch nicht alleine, obwohl ich es versuchen wollte? Vielleicht sollte ich beim nächsten mal gleich um Hilfe bitten.
Manche Kinder werden auch wütend und wehren sich gegen diese Art der Einmischung.


Was denkt sich der Erwachsene dabei

Die meisten von uns haben diesen Satz selbst schon oft gehört. Wir denken uns nichts dabei, benutzen ihn automatisch. Wie so viele andere Sätze auch, die uns seit unserer Kindheit begleiten. Da ist es oft sinnvoll, gedanklich einen Schritt zurück zu gehen und uns dieser Sätze bewusst zu werden. Darüber nachzudenken, was wir damit eigentlich sagen wollen, und warum wir sie sagen. 
Ich versuche in solchen Situationen meistens gar nichts zu sagen, sondern dem Kind Raum zu geben. Das fällt mir manchmal richtig schwer und gelingt auch nicht immer. Aber mir ist es einfach wichtig, dass ich mir dessen bewusst bin.
Dem Erwachsenen fällt es vielleicht gar nicht auf, dass das Kind genau dann ins Wankeln gerät, nachdem er es angesprochen hat. Vielleicht fühlt er sich auch bestätigt, dass der Ratschlag notwendig war, immerhin ist das Kind ins Straucheln geraten. 

Als Elternteil ist es oft schwierig, sich zurück zu nehmen und abzuwarten. Unsere Kinder sind uns wichtig und wir wollen nur das beste für sie. Sie vor allem Bösen und Gefährlichem beschützen. Schließlich sind wir diejenigen mit Lebenserfahrung und wir können die Folgen unseres Handelns abschätzen. Wir wissen, was alles passieren kann, wenn jemand irgendwo hoch klettert. Wir haben unseren Kindern gegenüber einen Wissensvorsprung. Aber dürfen wir sie deshalb daran hindern, selbst Erfahrungen zu machen?
Ich meine hier ausdrücklich nicht das Kind, das auf eine viel befahrene Straße rennen will. Es ist wohl selbstverständlich, dass wir unsere Kinder beschützen, wenn sie sich in gefährliche Situationen begeben. Aber wir würden auch keinen Erwachsenen vor ein Auto laufen lassen. Würden wir unsere Freundin auch daran hindern, auf eine Rutsche zu klettern? Wahrscheinlich nicht. Schließlich wird sie schon wissen was sie tut.

Dieses Vertrauen sollten wir auch in unsere Kinder haben. Die wissen meist sehr genau, was sie sich zutrauen können. Ohne Einmischung von Außen wird das Kind nur so weit klettern, wie es sicher ist. Es wird seine Grenzen testen, vielleicht eine Stufe höher als beim letzten Mal, oder zwei. So weit, wie es aushaltbar ist. Wenn es doch mal in eine Situation kommt, in der es nicht weiter geht, dann klettert es zurück oder holt sich Hilfe. Für Kinder ist es wichtig zu wissen, dass jemand da ist. Auf den man sich verlassen kann und der einen auffängt, dann wenn sie es brauchen. Ganz ohne gut gemeinte, aber verunsichernde Ratschläge. Sondern mit einer großen Portion Geduld und Liebe.